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"Mann-o-Meter"
Eine Woche Elmar. Das sind sieben Tage Elmar. Sieben Tage voller Beobachtungen und Einblicke. Von seiner Praktikantin
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"bitter für unser Land." |
24. September, Wohnzimmer
„Die
Grünen? Ja, also danach hat‘s ja überhaupt nicht ausgesehen.“ So klingt die
erste Stellungnahme der amtierenden Mutter der Nation, Helga Beimer, in Folge
1643 der Lindenstraße beim Blick auf Jörg Schönenborns, in allen Parteifarben
emporerigierenden, Balken im Ersten. „Och – die Populisten doch so stark.“
raunzt der feiste Herr Sohnemann aus dem Hintergrund, „Das ist aber bitter für
unser Land.“ Elmar Scheiße-Kleinschmidt, Bürger, Wähler und Politikbeobachter,
der selbst heute und in den kommenden sieben Tagen von mir beobachtet wird,
schält sich aus dem Fernsehsessel und rührt mit dem Zeigefinger durch die Luft:
„Potztausend noch eins! Mal wieder dem Volk astrein aufs Maul geschaut, der
Herr Geißenhofer, oder wie er heißt!“ So ungezwungen und lebensnah, oder
zumindest so ähnlich, wie die Fahrgemeinschaft aus dem Thespiskarren auf der
Mattscheibe, werden es an diesem Abend tausende Mitbürger in ihren
Fernsehzimmern durch die vierte Wand tuscheln, verdattert und überrascht von
den Hochrechnungen. Nicht so aber Elmar; ihn überrascht das Ergebnis kaum, was
weniger an eigenen prophetischen Analysen liegt, als an der starken
Deckungsgleichheit des Wahlergebnisses mit den letzten Umfragen.
24. September, Büdchen
Reinhard
Bütikofer deutet den Wählerwillen, Gauland bläst zum Halali, Schulz crasht die
gute Laune in der Elefantenrunde. Und dann auch noch die Pringles alle. Mürrisch
knotet der Bürger den Gürtel seines Mantels zu. Er hofft, dass das
Büdchen, zwei Straßen weiter, noch geöffnet hat. Er hofft.
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"Wissen Sie es?" |
Auf dem Rückweg, zwei Dosen Texas bbq im Anschlag, nimmt er kaum Notiz vom
bläulichen Flimmern hinter den Scheiben der friedlichen Wohngegend. Er murmelt,
weniger zu mir als zur Nacht: „25 % Nichtwähler, das kann ich nicht verstehen.
Die, die sich von der Politik abgewandt haben, die Verweigerer, die
Desinteressierten,… stellen jetzt schon zwölf Jahre den Regierungschef. Ein
besseres Angebot kann man ihnen doch kaum machen.“ Jetzt blickt er mich an:
„Wie kann man die denn sonst erreichen? Was soll man ihnen noch für
Zugeständnisse machen? Wissen Sie es?“ Aber da höre ich schon gar nicht mehr
zu; meine Aufmerksamkeit gehört einem Paketetikett, das an einem Laternenmast
klebt, kunstfertig mit grünem Filzstift getagt, wie das Streetmileu sagt. Das
Licht darüber brennt. Wenigstens das.
25. September, Schlafzimmer
Der
Bürger erwacht. Kissen, Laken, Digitalwecker, Harndrang sind immer noch so, wie
in der Nacht zuvor. Doch das Land drum herum ist es nicht mehr. Das ist auch
dem Bürger klar. „So ein Wahldebakel, Mann-o-meter!“ wird er später beim Frühstücksfernsehen
sagen, „Da sind personelle Konsequenzen unausweichlich. Meine Meinung: Der
Kanzlerkandidat sollte zurücktreten.“ Soviel zu Serdar Somuncu und der Partei
Die Partei.
26. September, strichweise-diesig-Redaktion
Die
letzten Getreuen sitzen um den Konferenztisch. Die Stimmung: so lala. Der einem
spiegelverkehrten AfD-Logo nicht unähnliche Halbkreispfeil im
Browsereingabefeld wird nachgerade sekündlich geklickt, um die spiegel-online-Startseite zu
aktualisieren. Die Ironie des spiegelverkehrten Pfeils, geklickt von jemandem
der auf spiegel verkehrt, fällt in
dieser Runde keinem auf.
Gestern Morgen hat Frauke Petry mit neuer
Oberweite aber alten Minenzuckungen in bester Tic-Tac-Toe-Manier die
Bundespressekonferenz verlassen. Die Tränen kamen diesmal aber nicht; nicht mal
auf Knopfdruck.
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"Die letzten Getreuen" |
„War Frauke Petry die Gemäßigte in der AfD und keiner hat’s gemerkt?“ Fragt einer aus
der Runde, um dann hinterher zu schieben: „Die letztens noch den Begriff
‚völkisch‘ wieder positiv besetzen wollte?“ Wieder
positiv besetzen wollen die ja viel, beispielsweise auch
Wehrmachtssoldaten. Was denn als nächstes komme, wird diskutiert, solle
demnächst auch wieder ‚Lebensraum im Osten‘ positiv besetzt werden. „Wenn schon
nicht metaphorisch, dann aber wenigstens mit Invasionstruppen?“ Die Frage hängt
noch einige Zeit im Raum, bevor man sich vertagt.
27. September, Imbiss
Mal
wieder Currywurst Pommes mit Mayo. Wie so oft in diesen Zeiten. „Wisst ihr, was
das dollste ist?“ fragt er mit dem Pommespieker über der Pappschale kreisend.
Er spricht in der zweiten Person Plural. Dabei sitzen wir beiden allein hier.
Natürlich beantwortet er die Frage selbst, allerdings erst nach einem tüchtigen
Schluck Filterkaffee mit Büchsenmilch, den er wie Odol seine Mundhöhle
durchspülen lässt: „Wenn man ein Wurststück in die Mayonnaise tunkt. Ich mein‘,
dafür ist sie ja gar nicht da. Die Wurst isst man mit Currysauce und die
Pommes, eigentlich nur die, isst man mit Mayo. Solch starre Regeln war’n meine
Sache aber nie. Ab und zu mach‘ ich’s einfach und esse auch mal ein Stückchen
Wurst mit Mayo. Wenn keiner guckt vielleicht auch mal einen Pommes mit
Currysauce; das aber nicht so oft. Wisst ihr, wonach das schmeckt? Currywurst
mit Mayo? Ich sag’s euch: Das schmeckt nach Freiheit!“
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"schmeckt nach Freiheit!" |
28. September, strichweise-diesig-Redaktion
Es
klingelt an der Tür. „Nanü“ macht Elmar. Er scheint keinen Besuch zu erwarten.
Er erhebt sich umständlich vom Schreibtischsessel. Bis eben redigierte er noch
den neuen Beitrag für seinen Blog. Oder er tat so. Ich habe nicht so genau
hingesehen, sondern war mit meinem Smartphone beschäftigt. Eine gute Sache,
denke ich, diese Funktion bei Spotify-Podcasts 15 Sekunden zurückspulen zu
können. Warum das – zum Teufel – nicht bei Musik oder wenigstens bei Hörspielen
geht, erschließt sich mir nicht. Wir können zum Mond fliegen, aber… Ich glaube
es war Jerry Seinfeld, der einmal gesagt hat, dass wir nie hätten zum Mond
fliegen sollen, weil sich dadurch alle Alltagssorgen mit dieser Leistung messen
lassen müssen. Vielleicht liegt’s aber auch an mir, gestehe ich mir ein, da
mich Spotify bestimmt schon seit Monaten darauf hinweist, dass ich eine
veraltete Version nutze. Möglicherweise wird diese Rückspulfunktion im Update
auch auf andere Sounddateien erweitert. Warum auch nicht? Warum soll man nicht
bei einem Musikstück 15 Sekunden mit einem Klick zurück gehen können. Das ist
doch mitunter ganz praktisch, oder? Es muss ja eine bewusste Entscheidung
Seitens Spotify sein, dieses Feature bei einigen Inhalten nicht anzubieten. Wer
übrigens an der Tür geklingelt hat, weiß ich nicht mehr.
29. September, Badewanne
Ich
frage mich, ob er mich überhaupt wahrnimmt. Ich hocke auf dem geflochtenen
Deckel der Wäschetonne, ihm bewusst schamhaft abgewandt, meinen Collegeblock
auf den Knien, und warte. Warte, bis ihm etwas einfällt. Warte, bis er mal
wieder anhebt. Warte darauf, dass er sich mir und damit der Öffentlichkeit
mitteilen will. Warte auf ihn.
Im Badezimmerradio läuft leise ndr Info. Er liegt in der Wanne und
schaut verträumt, was ich lediglich annehme, da ich ihn nicht sehe, auf den vor
ihm schwimmenden weißen Plastikteller. Currywurst, Pommes, Mayonnaise. Wie so
oft in diesen Tagen.
„Einen Begriff, werde ich niemals in
meinem Blog schreiben!“ Endlich. Ich kritzle los. Jedes Wort. „Und dieser
Begriff heißt ‚GroKo‘. Wer hat sich das ausgedacht? Wahrscheinlich Oliver
Welke. Und alle plappern das nach. Das ist so dümmlich, dass ich das
boykottiere.“ Seit langem spricht er wieder über Politik. In letzter Zeit meine
ich bemerkt zu haben, dass er sich von ihr, der Politik, entfernt hat. Heute
hat er zum Beispiel das erste Mal seit Tagen wieder die faz aufgeschlagen, die ihm täglich geliefert wird. Aber nur,
weil heute Freitag und dann immer das Kreuzworträtsel drin sei, wie er sagt.
Nun aber endlich. Wieder ein Wort des interessierten Wählers, des mündigen Bürgers,
des Welterklärers. Ich hoffe, dass er was sagt zu Andrea Nahles, die ihren Gag,
nun bekäme die Union auf die Fresse, so oft wiederholt hat, dass sie ihn letzten
Endes selber witzig fand. Oder über Wolfgang Kubicki, der Böcke aufs
Finanzressort durchblicken lässt. Oder über Gysi und Lafontaine, die darüber
zanken, wie rechts die Linke werden darf. Aber dann kommt nichts mehr. Ich höre
ihn nur noch schmatzen. Aber selbst das nur noch leise.
30. September, ice nach Bottrop Süd
Ein
bekennender Sitzplatzreservierer sei er, ließ er wissen, bevor er – die Mobil
auf den Oberschenkeln - eingeschlafen ist. Ich kauere im Gang und besehe sein
Gesicht vor der vorbeirauschenden Landschaft im Bahnfenster. Nicht einmal jetzt
entspannen sich seine Züge. Die letzten Tage waren hart. Die nächsten Tage werden es
höchstwahrscheinlich nicht minder. Dauernd angefragt zu werden, was man bald zu
dieser bald zu jener Entwicklung zu sagen habe. Per Telefon, per Twitter,
WhatsApp, auf Facebook, in den Kommentaren auf der eigenen Seite. Zu jeder
Tages- und Nachtzeit. Gebeten um einen Kommentar zu einem Bundestagspräsidenten
Schäuble, zu einem Außenminister Özdemir, zur Domain die-blauen.de oder zur
Lage in Katalonien. All das dieser Tage als Influencer nicht zu erleben, das schlaucht. Das fasst einen an, wie er selbst
sagt, das steckt man nicht so schnell und einfach weg wie das Genital am
Pissoir, wenn sich einer neben einen stellt.
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"Höma - ihr müsst jede Arbei annehmen." |
Ich erschrecke, als er plötzlich wach
wird, geweckt vom Vibrieren seines Telefons in der Innentasche. Er geht ran und
beginnt zu sprechen. Erst flüsternd, dann immer lauter. Bald geht es um Gerhard
Schröder und dessen neuen Job als Aufsichtsratschef bei Rosneft. Er selbst hat
das Gespräch darauf gelenkt. Zuvor drehte es sich ausschließlich darum, ob er
letztens mit einem Mietwagen zufrieden gewesen sei. „Da hat Gerd doch damals zu
seiner Agendapolitik gesacht,“ er ist bemüht, selbst im Schröder-Schnodder-Slang
zu sprechen, „‘Höma – ihr müsst jede Arbeit annehmen.‘ Und nu‘ geht er mit
gutem Beispiel voran und nu‘ is‘ auch schlecht… Bitte?... Ja, is‘ gut. Bis
denn-dann…“ Ungerührt steckt er sein Telefon zurück in sein Jackett; dann zu
mir: „So gehe ich vor. Wenn mir ein guter Gag einfällt, teste ich ihn erst
einmal beim einfachen Volk. Nur wenn ein Gag durch diesen Test gegangen ist,
kann ich ihn vielleicht in meinem Blog bringen. Das meine ich, wenn ich von
Verantwortung spreche.“ Er schließt die Augen und fügt in verschwörerischem
Tonfall hinzu: „Ganz recht.“
In Bottrop war es schön; er hätte dort zu
tun, sagt er.
1. Oktober, strichweise-diesig-Redaktion
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"Machen Sie noch den Kopierer aus" |
„Eigentlich
wollte ich ja was zu Erntedank machen.“ Sagt er im heiseren Singsang, den ich
über die letzten Tage dieses Projekts immer wieder beobachtet habe… man kann ja
auch mit den Ohren beobachten. „Wenn einem gar nichts einfällt, guckt man halt
auf den Kalender. Irgendwas ist ja immer. Warum nicht mal eine Ausgabe zum
Thema Vollmond oder Mittwoch. Oder über irgendeinen Namenstag, was weiß ich,
zum Beispiel den von Kurt oder Dagmar. Oder eben das Erntedankfest. Da ist
bestimmt noch nicht jeder Comic zu gemalt worden, verstehen Sie?“ Er lehnt sich
mit einer Gesäßhälfte auf den Schreibtisch. „Aber ganz ehrlich, Erntedank ist
nichts.“ Steuert er zurück, „Vielleicht nächstes Jahr.“ „Vielleicht.“ sage ich.
„Außerdem bin ich mit meiner Reportage auch am Ende; wir hatten doch
ausgemacht, dass wir die eine Woche nach der Wahl bringen.“ „Jaja.“ Er tut, als
würde er sich erinnern, „schon eine Woche, ja? Umso besser. Dann hau‘n Sie das
ma‘ raus.“ Er zieht sich den Mantel an und will gehen. „Natürlich muss ich
meine Aufzeichnungen und Fotos noch sichten und den Artikel schreiben. Ich werd’s
wohl zum Feiertag fertig bekommen.“ Sage ich; er: „Feiertag?“ Ich weise ihn auf
den Tag der Deutschen Einheit an diesem Dienstag hin. „Schon recht, schon recht…“ seufzt er und
geht. In der Tür halte ich ihn noch kurz auf „Wie war das denn für Sie?“ will
ich wissen. „Doll.“ Macht er, wieder ganz der Elmar, den ich nun gut
kennengelernt habe. „Eine harte Woche für mich… und für unser Land. Aber –
eigentlich auch alles halb so wild.“ Und bevor er im Treppenhaus verschwindet:
„Machen Sie noch den Kopierer aus, wenn Sie gehen, ja?“
Allein im Büro gehe ich meine Notizen, Skizzen und
Polaroids durch. Eine Woche Elmar. Eine Woche Deutschland. Eine harte Woche,
klingt es noch in meinem Innenohr nach, aber eigentlich alles halb so wild.
Mittlerweile ahnt das sogar Klausi Beimer.